Gazeta Polska Codziennie: Staatsstreich in Polen - Święczkowski hatte keine Wahl
Für die offizielle Version des Verfassungsgerichts empfiehlt sich die Lektüre der nationalkonservativen Gazeta Polska Codziennie, die zu dem Thema die Verfassungsrechtlerin Prof. Genowefa Grabowska befragt hat. Laut Prof. Grabowska habe der Präsident des Tribunals keine andere Wahl gehabt, als Maßnahmen zu ergreifen, um die Existenz des Gerichts zu sichern, da es andernfalls durch den Entzug von Finanzmitteln faktisch handlungsunfähig gemacht worden wäre – ein Vorgehen, das der polnischen Verfassung widerspreche. Die Verfassung bestimme zudem, dass das Verfassungsgericht die höchste Instanz zur Kontrolle der Gesetzgebung sei. Würde diese Kontrollfunktion entfallen, so Grabowska, würde das gesamte polnische Rechtssystem zusammenbrechen.
Die Juristin betont weiter, dass in einem Rechtsstaat die eingeleiteten Ermittlungen sorgfältig durchgeführt werden müssten. Der zuständige stellvertretende Generalstaatsanwalt Michał Ostrowski habe die rechtlichen Befugnisse, um das Verfahren zu führen und im Falle eines Verfassungsverstoßes weitere Schritte einzuleiten. Sie äußert jedoch Zweifel, dass dies unter den aktuellen politischen Bedingungen geschehen werde: Vertreter der Regierung hätten selbst betont, dass Polen eine „kämpfende Demokratie“ sei – ein Konzept, das in der Praxis bedeute, dass das Recht je nach politischer Opportunität ausgelegt werde. „Die Regierung hat bisher vor keinem rechtswidrigen Schritt zurückgeschreckt,“ so Grabowska in der Gazeta Polska Codziennie.
Rzeczpospolita: Anschlag auf den gesunden Menschenverstand
Ewa Szadkowska von der konservativ-liberalen "Rzeczpospolita" beginnt ihrem Kommentar zu dem Thema mit einer Alltagsszene, in der ihr 17-jähriger Sohn ein Gesprächsfragment über den "Staatsstreich" aufschnappt und erstaunt nachfragt. Sie, so die Autorin, habe ihm den politischen Wirbel um die Anzeige von Bogdan Święczkowski, dem Präsidenten des polnischen Verfassungsgerichts, gegen Premierminister Donald Tusk und mehrere Minister in etwa so erklärt.
Der Konflikt gehe auf die umstrittenen Justizreformen der PiS-Regierung zurück. Diese hätten es ermöglicht, das Verfassungsgericht mit regierungsnahen Richtern zu besetzen und den Landesjustizrat (KRS), der für die Ernennung von Richtern zuständig ist, so umzustrukturieren, dass die politische Kontrolle über die Justiz erheblich ausgeweitet wurde. Gleichzeitig habe die PiS-Regierung auch die Staatsanwaltschaft umstrukturiert und mit loyalen Funktionären besetzt, insbesondere in führenden Positionen. Diese seien nach dem Regierungswechsel weiterhin im Amt geblieben, da sie rechtlich nur schwer zu entfernen seien.
Die neue Regierung versuche nun, die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen, habe jedoch Schwierigkeiten, da Präsident Andrzej Duda ihre Gesetzesinitiativen blockiere. Stattdessen versuche sie daher, das Verfassungsgericht und den Landesjustizrat (KRS) durch die Kürzung von Haushaltsmitteln, die Nichtauszahlung von Gehältern sowie die Verzögerung oder Verweigerung der Veröffentlichung von Urteilen des Verfassungsgerichts zu schwächen. Zudem habe die Regierung durch einen juristischen Trick den amtierenden Landesstaatsanwalt entlassen (den die PiS noch kurz vor der Machtübergabe an die Regierungskoalition nominiert hatte), dessen Stellvertreter seien jedoch geblieben. Dadurch habe Justizminister Adam Bodnar nun zwei enge Vertraute des früheren Justizministers Zbigniew Ziobro in seinem unmittelbaren Umfeld behalten müssen.
Und nun habe eben einer von ihnen, basierend auf Święczkowskis Anzeige, Ermittlungen gegen die neue Regierung eingeleitet,. Darin werde behauptet, dass Tusk, Minister, Parlamentarier, Richter und Staatsanwälte als "organisierte kriminelle Gruppe" agierten. An dieser Stelle, so Szadkowska, habe ihr Sohn gelacht, da er dachte, sie versuche ihn reinzulegen. Auch Szadkowska betont Absurdität dieser Vorwürfe und erinnert an die Schwierigkeiten, ausländischen Beobachtern die aktuellen Entwicklungen in Polen zu erklären. "Wann werden wir als juristische Journalisten aufhören, uns mit Erklärungen zu Ereignissen befassen zu müssen, die mit dem Recht nur noch eine scheinbare Verbindung haben?", fragt sie abschließend.
Do Rzeczy: PiS skeptisch gegenüber “Staatsstreich”
Offenbar ist auch die Führung der nationalkonservativen PiS-Partei skeptisch gegenüber der Einschätzung des Präsidenten des polnischen Verfassungsgerichts (TK), Bogdan Święczkowski, dass in Polen ein Staatsstreich im Gange sei, berichtet die Wochenzeitschrift Do Rzeczy. Święczkowski, so das Blatt, habe von einem „schleichenden, systemischen Staatsstreich“ gesprochen.
PiS-Chef Jarosław Kaczyński habe diese Einschätzung zwar in den Medien unterstützt und betont, dass er seit Langem dasselbe sage. Er habe auf Artikel 127 des Strafgesetzbuchs verwiesen, der eine gewaltsame Änderung der politischen Ordnung als schweres Verbrechen einstuft. Bereits mehrfach habe er in Pressekonferenzen darauf hingewiesen, dass dieser Tatbestand erfüllt sei.
Innerhalb der PiS herrsche jedoch Unruhe über die Vorgehensweise des Verfassungsgerichtspräsidenten. In anonymen Gesprächen hätten Parteimitglieder ihre Verwunderung und Skepsis. „Das ist eine hochriskante Strategie. Niemand hat uns vorher informiert. Ich habe aus den Medien davon erfahren“, zitiert das Blatt eine Quelle aus der Partei. Ein anderer Parteifunktionär äußerte Zweifel an der Erfolgsaussicht der Ermittlungen: „Ich stimme zu, dass Tusk und seine Leute die Rechtsordnung verändern, aber ich sehe nicht, was ein einzelner Staatsanwalt in dieser Situation ausrichten kann.“ Zudem fürchten einige, dass die Aktion negative Auswirkungen auf den Wahlkampf von Karol Nawrocki haben könnte.
Autor: Adam de Nisau