Der aus der Schweiz angereiste Ingenieur verfügte über weitreichende Kenntnisse in den Bereichen Physik, Mathematik und Bauwesen. Zunächst bekleidete Gabriel Narutowicz verschiedene Ministerämter in den Kabinetten von Wincenty Witos, Antoni Ponikowski und Władysław Grabski, bevor er am 9. Dezember 1922 zum ersten Staatsoberhaupt der Republik Polen gewählt wurde. Seine Präsidentschaft stand von Beginn an unter keinem guten Stern. Bereits die Wahl wurde von hitzigen Wortgefechten begleitet. Auf den Straßen entlud sich der Zorn des radikalen Mobs, der vergeblich auf die Entscheidung der Nationalversammlung einzuwirken suchte. Narutowicz galt als „Kandidat der nationalen Minderheiten“.
Nur fünf Tage nach seiner Vereidigung wurde er von einem verwirrten Fanatiker hinterrücks ermordet. Das Attentat von Warschau zeigte mit erschreckender Deutlichkeit, wie althergebrachter Fremdenhass um sich griff, wenn der neue polnische Staat enttäuschte. Die historische Aufarbeitung des vor 100 Jahren verübten Präsidentenmords ist allerdings auch voller Missverständnisse - meint Wojciech Osiński.